Dienstag, Juli 04, 2006

BUCKELMANN fühlt sich: SAUWOHL, ALS AUCH

[aus: "BUCKELMANN VERKEHRT ZURÜCK"]

Buckelmann erwachte nach einem zweieinhalbstündigen Etwas, das ein Schlaf hätte werden sollen - seichtere Gemüter hätten es mit 'deadhead' gleichgesetzt, was aber der Erinnerung an den legendären Stromschlag von Bob Weir anno 1969, der später sogar in einen Comicstrip verarbeitet worden war, nicht annähernd gerecht geworden wäre - und stellte, nachdem er sich auf die Bettkante gesetzt hatte, schmerzhaft fest, dass sein Kopf noch vorhanden war.


Bruchstückhaft und etappenweise, aber dafür um so intensiver, setzten die Erinnerungen an die vergangene Nacht ein. Wie um alles in der Welt hieß noch das Programm, das er gestern Abend in der Universitätsaula von Jena miterlebt hatte? "Sklaven sind gut, Herr Tucholsky"? oder "Trafen Sie gut, Herr Podolski"? oder "Raffen Sie’s noch, Herr ..."? Buckelmann fiel kein weiterer Eigennamen-Reim mehr ein. "Mein Gott", stöhnte er. "Was für ein Teufelszeug hatte der uns heute Nacht bloß serviert?"

DER, damit war Robert gemeint, Jahrgang 70, Kneipier und passionierter Cocktailerfinder, unehelich verheiratet mit seiner Frau, besessen von einer geradezu erdrückenden Liebe zu Politessen, ein Mensch, der dabei auch noch auf die himmelschreiende Offenheit seiner Tochter bauen konnte ("Die Mädels kennen deine Möhre inzwischen so gut, als wenn du schon mit jeder was gehabt hättest.") und als Soloklarinettist gelegentlich nicht nur in die eigenen Hände spuckte; mithin einer der erstaunlichsten Menschen, die Buckelmann in seiner neuen Heimat bisher kennenlernen durfte. Eine Legende der Leidenschaft für unverdorbenes Kulturgut, denn anders ist es nicht zu erklären, dass Robert einst Udo Lindenberg um ein Autogramm gebeten hatte und zwar unter einen Vertrag für ein Mega-Open-Air-Konzert auf der legendären Rasenmühleninsel in Jena und das nur, um seinem Vater eine kleine Gefälligkeit erweisen zu dürfen für alles, was der in den letzten fünfunddreißig Jahren für ihn getan hatte – oder gelassen.

"Gelassen ...", rief Buckelmann in Richtung Zimmerdecke und das Echo sprach ihm Mut zu. Mut zur Erinnerung, was der Kerl ihm heute Nacht in seinen Cocktail gemischt hatte, und zwar in den Cocktail zwischen dem Cocktail mit Wodka, Limetten- und Holunderbeersaft und dem mit Wodka, Holunderbeer- uns Limettensaft. So etwas kann man nicht erfinden, höchstens empfinden, dachte Buckelmann und widmete sich wieder ganz seinem Kopfschmerz.

"Mein Gott", stöhnte Buckelmann nach gefühlten fünf Minuten kopfschmerzenden Dösens erneut und fügte zur Klarstellung für sich noch ein "Was bin ich doch blöd" hinzu. Warum hatte er sich gestern Abend geradezu erschreckend lässig (um nicht zu sagen fahrlässig) dem alten Leitspruch "As a professional musican, I trust Chianti" entfernt? Ja doch, dachte Buckelmann auf sein Stechen im rechten Gehirnlappen reagierend, Chianti war auch dabei gewesen. Und Sekt "Au-ch" und Weißwein, "Au-ja!", Pina Colada "Cla-aah-ro!" und ...

"Mein Gott" flehte Buckelmann ein drittes Mal, "laß diese Kopfschmerzen ein Ende nehmen. Mea Culpa!" Als professioneller Mensch, das wurde in seinemKopf immer klarer‚ vertraue Dich niemals der Obhut eines Barkeepers mit eigener Bar an. Noch dazu einem, der Robert heißt, die Bar noch extra früh geschlossen hat um die Nacht mit Dir zu verbringen, der sie nach 0 Uhr speziell für Dich und Deine Gäste öffnet, damit alle von seiner 84-jährigen Großmutter Ilse erfahren können, die fit ist im Kopfrechnen ("wie ein stalinistischer Turnschuh") und die "roocht, wie'n Schlot" und immer nur MDR guckt, weil sie denkt, das was sie dort sieht sei "Meene Demokratsche Republik".

"Ich blas' Euch jetzt was", hatte Robert gegen halb vier Uhr, die Treppe zur Empore seines Clubs raufschwankend, in der einen Hand ein Tablett mit nochmals acht Cocktails, in der anderen seine Klarinette, gesagt - auch daran konnte Buckelmann sich jetzt erinnern. Was folgte war Klezmer, als man erwarten durfte, mit einer kleinen französische Blume als Nachschlag, bei der sogar ihm, Buckelmann, dem Klarinettenhasser, das Herz aufging. Nach drei bis acht weiteren Cocktails hatte Robert dann den CD-Spieler angeworfen und faselte etwas von "guter Mucke" und "geile Band" und "da kommt keiner ran".

Einen kurzen Moment lang befürchtete Buckelmann, der gute Mann würde Frankie Valli & the Four Seasons auflegen mit "Oh, what a night, late December back in sixty-three", aber weit gefehlt. Robert hatte die neue Scheibe von den Rolling Stones eingelegt und mit den ersten Takten von "Rough Justice" war für alle der weitere Baraufenthalt gerettet. Sauwohl, als auch ...

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