Mittwoch, August 31, 2005

BUCKELMANNS WAHL (Anfang der Geschichte)

[aus: "BUCKELMANNS INNERE STÄRKE", dem Band 1 der BUCKELMANN Trilogie. Der Autor bemerkt dazu: »Buckelmann ist ein Wiederholungstäter, einer aus der Mitte des Deutschen Raumes. Seine innere Stärken sind seine inneren Schwächen. Aber nach jedem Stolpern juckt es ihm in den zehn Fingern, er muss das Erlebte auf- (oder besser noch: nieder-) schreiben. Damit begleicht er seine Schuld sich selbst gegenüber. Und Buckelmann schreibt natürlich immer in der dritten Person über sich; das wenigstens ist er seiner geschundenen Seele schuldig.«]

Angenommen, sie wären Buchhalter oder Finanzbeamtin, dann wäre Buckelmanns Auffassung von Pünktlichkeit, Ordnungsliebe und Arbeitseifer ungefähr so weit von der ihren entfernt, wie Bischof Tutus Chancen auf eine Mitgliedschaft im Ku-Klux-Clan. Nimmt man jetzt jedoch an, Buckelmann wäre arbeitsscheu und nicht gesellschaftsfähig, dann täuscht man sich gewaltig, gehört er doch zur Oberschicht der mittelmäßig Erfolgreichen, ist Mitglied in gleich drei Literaturvereinen, von denen er einem sogar vorsteht. Buckelmann arbeitet, aber das sei nur nebenbei bemerkt, hauptberuflich als Jugendsozialarbeiter bei der Stadtverwaltung.


Ein ganz normaler Arbeitstag beginnt bei Buckelmann damit, dass er gegen halb sechs Uhr erwacht, mach dem morgendlichen Toilettengang den Fernseher einschaltet, um im Teletext nachzuschauen, ob die Welt noch steht. Er versucht dabei, dem Bann der dort aufgereihten Ereignisse der verschlafenen Stunden nicht zu sehr zu erliegen und noch vor sechs Uhr seinen Computer anzuschalten, um im Internet zu prüfen, ob das Fernsehen ihm gerade die Wahrheit gesagt hatte, und nicht über Nacht in den Einfluss der Breiten Bevölkerungs-Greise/BBG geraten ist, einer Gruppe alkoholabhängiger Uralt-Politiker, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Buckelmann hat, nebenbei bemerkt, darüber vor einiger Zeit ein kritisch-amüsantes Essay veröffentlicht, glaubt, nach mehreren intensiven Gesprächen mit Gleichgesinnten über den Einfluss eines von islamischen Tempelrittern unterlaufenen Vatikan auf die Politik der EU, nun aber schon ein klein wenig daran, dass es die BBG tatsächlich gibt und dass sie ihm die Idee für das Essay sogar eingeflüstert haben könnten, als er eines Morgens mit extremen Kopfschmerzen im Stadtpark aufgewacht war, neben sich eine leere Flasche 'Absolut' Vodka. Er hatte sich damals nicht mehr erinnern können, am Abend zuvor überhaupt etwas getrunken zu haben. Dass tatsächlich die BBG dahinter steckte, hielt Buckelmann nicht ernsthaft für eine Option, was jedoch wiederum für ihre Existenz sprach, so gerissen wie die Brüder waren.

Inzwischen zeigt die Uhr in etwa zwei Minuten vor sechs und Buckelmann überlegt, ob er heute einmal ganz früh zur Arbeit gehen sollte. Der früheste Arbeitsbeginn war sechs Uhr dreißig und von seiner Wohnung brauchte er rund fünfzehn Minuten zur Arbeit, und zwar zu Fuß, wenn er wirklich gut drauf war (und alle Fußgängerampeln ihm wohlgewogen waren), oder mit dem Auto, wenn verkehrstechnisch alles normal lief. Einmal hatte er es mit seinem Auto sogar in acht Minuten zur Arbeit geschafft, aber das war im Sommer gewesen, in der Urlaubszeit, und die Fahrt hatte wirklich wie am Schnürchen geklappt. Will heißen: Sein Auto war angesprungen, kein Stau auf der Waldstraße, keine Müllfahrzeuge beim Entleeren der Tonnen vor der Einfahrt zur Tiefgarage am Rathausplatz und kein Volksfest auf dem deswegen dann gesperrten Parkplatz davor. Es sei hier nicht verschwiegen, dass Buckelmann gelegentlich auch mit dem Fahrrad fährt, dann braucht er elf Minuten, um auf Arbeit zu kommen, fühlt sich dabei auch noch topfit. Seitdem ihm letzten Herbst die Kette gerissen war, ist er jedoch kein Fahrrad mehr gefahren.

Um zwanzig nach sechs sitzt Buckelmann immer noch am PC, gibt die Idee der ganz frühen Arbeitsaufnahme auf, tendiert nun eher zu sieben Uhr dreißig, was gemessen am spätest möglichen Arbeitsbeginn um neun Uhr immer noch früh ist. Buckelmann beginnt damit, einen Text, den er gestern in der verlängerten Mittagspause geschrieben hatte (Genie lässt sich eben nicht durch profane Pausenregelungen stoppen), auf Schreibfehler zu korrigieren. Um kurz vor sieben ist er damit fertig und müsste nun ins Bad gehen, sich duschen und rasieren, was nach Buckelmanns fester Überzeugung nicht zu den lebensnotwendigen Verrichtungen gehört, seinem Bild in der Öffentlichkeit aber durchaus zuträglich ist. Zwanzig Minuten später hat er seine drei Webseiten auf Hackerangriffe hin gecheckt und für gut befunden, nur auf der 'Kulturecho' Seite muss dringend eine Änderung vorgenomen werden, liest Franz Andre Korff doch nächste Woche beim Kulturmeeting im Platanenhaus nicht aus ihrer Prosasammlung "Massenkampf" sondern aus seinem Gedichtband "Schweren Herzens". Schnell ist die FTP-Software geöffnet, der Eintrag geändert und ins Internet gestellt ... wenn die Software nicht schon wieder hängengeblieben wäre. Buckelmann macht einen Neustart, darin hat er mittlerweile Routine. Er wartet, bis die Programme hochfahren, startet den Explorer, das FTP-Programm, nimmt die Änderung nochmals vor und stellt sie dann ins Internet.

Als die 'Kulturecho' Seite aktualisiert ist, ist es sieben Uhr neunzehn und damit die Chance vertan, um halb acht auf Arbeit zu sein. Gerade noch rechtzeitig fällt Buckelmann ein, dass er noch einen Brief seiner Wohnungsgesellschaft beantworten muss, ob er mit der neuen monatlichen Müllpauschale einverstanden ist oder mit der bisher gültigen individuellen Regelung. Diese Schweine, denkt Buckelmann. Erhöhen einfach so mir nichts, dir nichts die Müllnebenkosten um 8 % und versuchen, das den Mietern einfach so unterzujubeln, indem sie ganz harmlos fragen, ob man die alte Regelung beibehalten möchte - antwortet man nicht, dann gilt die neue. "Mit mir nicht", ruft Buckelmann laut, es sind seine ersten drei gesprochenen Worte des Tages und gleichsam sein Lebensmotto. Wütend schreibt er den Antwortbrief an die 'Holding Miet- und Wohn'-AG.

Um sieben Uhr fünfunddreißig ist der Brief fertig, ausgedruckt und in einen Umschlag eingetütet. Buckelmann sucht die Briefmarken. Vor kurzem noch hatte er sie in seinem Haufen mit den wichtigen Papieren gesehen, jetzt sind sie nicht mehr da. Er schaut vorsichtshalber in seinem Schuhkarton mit den ganz wichtigen Dingen nach, den er seit gefühlten dreieinhalb Wochen nicht mehr geöffnet hat, findet sie aber schließlich in der schmalen Küchenschublade zwischen Schraubenziehern, Dübeln, Tesafilm, Gartensamen, Thomapyrin-Tabletten und Klettband. Mit einer Briefmarke für einen Euro zehn beklebt (andere hat er nicht finden können) legt er den Umschlag auf den Schuhschrank und schaut dann auf die Wanduhr. Jetzt ist es acht Uhr zwanzig.

Scheiße, denkt Buckelmann, schüttelt den Kopf, denkt an sein sonst untrügliches Zeitgefühl und daran, wieso die Zeit plötzlich verfliegt. Er hat einen Verdacht. Die Uhr im Büro könnte nachgehen, was bei einer Funkuhr nicht vorkommen darf, aber immer dann passiert, wenn die Batterieladungsspannung zur Neige geht. Buckelmann geht mit schnellen Schritten ins Büro, nimmt die Uhr von der Wand und wechselt die Batterie. Nun rasen die Zeiger um die Wette und stellen sich schnell auf die exakte Uhrzeit ein: acht Uhr neunundzwanzig.

[...diese Geschichte setzt sich fort...]