Montag, Oktober 10, 2005

BUCKELMANNS OKTOBERFEST

[aus: BUCKELMANNS INNERE STÄRKE"]

Alle Jahre wieder startet im September das Oktoberfest in München und wieder einmal hatte es Buckelmann nicht geschafft einen Abstecher an die Isar in seinem engen Freizeitkorsett unterzubringen. Schon seit Jahren wollte er zum Oktoberfest, 1985 sollte das erste Mal sein, damals noch mit seinem Kumpel Browny, der bürgerlich Klaus-Michael Braun hieß, sich im Sommer 85 gerade ent-liiert hatte und unbedingt zur 'Wiesen' wolte, oder beser noch "gen Italien", wie er im Büro oft erzählte. Für 'gen Italien' reichte aber das Geld nicht und so entschlossen sich Buckelmann und Browny für das Oktoberfest, weil es dort auch Frauen gäbe, die auf ein schnelles Abenteuer aus wären, wie ihm Browny versicherte. Zu den angekündigten Abenteuren kam es aber dann doch nicht, weil Browny kurz darauf etwas mit Frau Siegfanz vom Schreibdienst angefangen hatte, die eigentlich voll auf Eros Ramazotti stand, aber durchaus bereit war 'una storia importante' mit Browny zu erleben.

Seither will Buckelmann jedes Jahr zum Oktoberfest, schafft es dann aber aufgrund widriger Umstände doch nicht. Was ihn aber nicht davon abhält, sein ureigenes Oktoberfest zu beginnen und zwar immer im Büro, niemals zuhause. Am bewussten Festtag kommt er schon früh auf die Arbeit, also wirklich früh, so um kurz vor 7 Uhr, und hat seine Utensilien dabei: Eine Packung Weißwürste von Lidl (= fünf Stück im Naturdarm inklusive drei Tütchen süßen Senf), ein Glas fertig geschälte und gekochte Kartoffeln, zwei Laugenbrezel, einen kleinen Maßkrug aus Glas und zwei Flaschen alkoholfreies Bier. Da es auf Arbeit keine Kochplatten und damit keine Möglichkeit gibt, die Weißwürste im Wasserbad zu erhitzen, benutzt Buckelmann hierfür den SIEMENS-Wasserkocher, allerdings nur dann, wenn alle beschäftigt sind und niemand zuschaut, denn nach der Brühaktion im Wasserkocher hat der nächste Kaffee eine leichte Aspik- und Kalbfleischnote, andererseits ist aber der Wasserkocher auch wieder für die nächsten acht Wochen entkalkt.

Buckelmann schließt sich dann von innen in seinem Büro ein, gießt langsam das alkoholfreie Bier in sein Glas, leert das erste Glas auf einen Ansatz, wischt sich mit dem Handrücken den leichten Bierschaum vom Mund, nimmt eine Weißwurst in die linke Hand, tunkt sie in den süßen Senf und zuzelt dann den Inhalt mit den Zähnen aus dem Darm. So geht das dann noch vier Mal, wobei Buckelmann sich immer wieder Bier nachschenkt und dazu die Brezeln sowie die zuvor in der Mikrowelle erwärmten Kartoffeln isst, bis keine Weißwürste mehr da sind und Buckelmann sich zufrieden über den Bauch streicht.

"So", sagte er dann zu sich selbst, "jetzt brauche ich dieses Jahr nicht mehr aufs Oktoberfest", womit er recht hat, denn das schönste Fest ist das eigene Fest, ganz privat, ohne Menschenauflauf und Fahrgeschäfte. Nur allein mit sich selbst, denkt Buckmann und nickt. Dann schließt er die Tür wieder auf, geht ins Schreibzimmer um seinen am Tag zuvor diktierten Entwurf abzuholen, bei Frau Braun, die heute von Brad Pitt träumt, aber in ihrer unteren Rollcontainerschublade immer noch ein Foto von Eros Ramazotti hat. Von Browny haben beide seit Jahren nichts mehr gehört.

Dienstag, September 20, 2005

BUCKELMANN kommentiert: DIE KLUGHEIT DER MEHRHEIT

Etwas älter zu sein als der Rest hat einige Vorteile. Man hat schon viel gesehen und gleichermaßen genügend Anstand wie Abstand um noch mehr sehen zu wollen, meint Buckelmann und sagt dazu:

Die Deutschen haben bei allen Bundestagswahlen seit 1949 richtig abgestimmt. In der Adenauer-Zeit, bei Ludwig Ehrhartdt, bei Kiesingerund in den Brandt-Jahren, während der Schmidt-Ära, auch bei der Wahl nach der Einheit machte alles Sinn.

Sogar 1994, als Helmut Kohl nichts mehr vorhatte, wurde gegen die SPD entschieden, weil die nicht regierungsreif war. Und 2002 gegen den ganz-klar-unklaren Stoiber zu votieren und Rot-Grün eine zweite Chance zu geben, das war ebenfalls plausibel.

Und nun also hat man sich FÜR die Nicht-Durchsetzungskraft von Angela Merkel entschieden und zugleich GEGEN Gerhard 'Wir sind Kanzler' Schröder noch dazu. Herausgekommen ist ein Patt.

Es gibt sie also offenbar doch: die Klugheit der Mehrheit.

Freitag, September 02, 2005

BUCKLMANN kommentiert: NULL NULL ORLEANS

Kathleen Blanco, Gouverneurin von Louisiana, gab ihren kampferprobten Nationalgardisten gerade zur Eindämmung der Plünderungen in der überschwemmten Stadt den Befehl "Shoot to Kill". Sie seien mit M-16 Gewehren bewaffnet, "und die sind geladen". An die 40.000 Soldaten in Einzugsfeld der Stadt erging die Aufforderung, die Ordnung "im meinem Bundesstaat" wieder herzustellen.

Buckelmann findet: Auch ein Weg, die Zahl der durch die Überschwemmung obdachlos gewordenen Menschen zu verringern. Hat ja schließlich auch schon im Irak so manches Gute bewirkt.

Donnerstag, September 01, 2005

BUCKELMANNS WAHL (Das Ende der Geschichte)

[Eine Fortsetzung aus: "BUCKELMANNS INNERE STÄRKE"]

Buckelmann legt nun einen Schritt zu und zieht sich hastig an, muss allerdings feststellen, dass seine Jeans einen Schokoladenfleck hat, woher und weshalb ist ihm inzwischen egal. Er holt die dunkle Stoffhose aus dem Schrank, zieht diese an, sie spannt zwar ein wenig im Bundbereich, aber er braucht den Bauch nur ein klein wenig einzuziehen und es geht. Das schwarze T-Shirt überwerfend wäre er fast ausgerutscht, und das, obwohl er keine Strümpfe an hat. Gut, denkt sich Buckelmann, dann gehe ich heute ohne Socken, das sieht ja auch gleich viel cooler aus.


Auf dem Weg zum Bad bemerkt er, dass es bereits acht Uhr dreiunddreißig ist und Buckelmann beschließt, das Duschen heute auszulassen. Leider muss er sich noch rasieren; das hatte er gestern schon ausfallen lassen, ebenso wie das Duschen, also Deo aufgelegt, mit ein klein wenig 'Eternity' abgerundet und der Körperduft ist für den Moment im Lot. Allerdings muss er sich noch um die dunkle Stoffhose kümmern. Die sollte schon zwei Mal in die Reinigung gegeben werden, aber Buckelmann hatte bisher immer keine Zeit dafür gahabt. In solchen Momenten hilft 'Febreze', denkt Buckelmann, ein wahres Teufelszeug, das geruchstechnisch wunderheilt und ihm sogar schon einmal den Abend und die Nacht mit Conny gerettet hatte, als das längst überfällige Katzenklo mit wenigen Sprühern 'Frebreze' in ein duftendes Sonnenmelonen-Feld verwandelt wurde, das kurz darauf die ganze Wohnung eroberte und am Ende sogar Conny. Am nächsten Morgen hinkte Buckelmanns Kater zwar ein wenig, aber die Lähmungserscheinungen waren nur vorübergehend.

Nach der Schnellreinigung seiner dunklen Hose ist es inzwischen beinahe drei viertel neun geworden. Laufen ist nun nicht mehr möglich, denkt sich Buckelmann, ebenso wie Radfahren, denn sein Fahrrad hat noch immer keine neue Kette. Buckelmann lässt nun auch das Rasieren aus und hat nur noch die Zeit, sich seine Umhängetasche zu schnappen, den Schlüsselbund, den Autotransponder, hastig sein Haus zu verlassen ... und festzustellen, dass sich vor dem Haus der Verkehr staut. In acht Minuten auf der Arbeit, das konnte er heute allso vergessen. Buckelmann stößt ein Gebet aus: "Lieber Gott, lass mein Auto anspringen" und es springt heute tatsächlich ohne Probleme an. Nach sechs Minuten Fahrt hat Buckelmann trotz des Staus bereits die Hälfte der Strecke geschafft, mit ein wenig Glück kann er bis um neun Uhr das Rathaus erreichen, schließlich ist nach Buckelmanns Auslegung das Einfahren in die Tiefgarage gleichzusetzen mit dem Arbeitsbeginn, auch wenn es in der Arbeitszeitvereinbarung heißt: "Die Arbeitszeit beginnt mit dem Betreten der Dienstgebäudes". Als die das damals festgelegt haben, denkt sich Buckelmann, da gab es halt noch keine Autos.
Als er zwei Minuten vor Neun nur noch eine rote Ampel weit von der Tiefgarageneinfahrt entfernt ist, bemerkt Buckelmann, dass er den Brief an die 'Holding' zu hause hat liegen lassen. Er wird ihn am späten Vormittag holen und dann auch gleich in einen Postkasten einwerfen. Jetzt wird die Ampel grün und exakt zum Glockenschlag der Marktkirche zieht Buckelmann sein Parkticket. Ganz billig ist das Parken im Parkhaus übrigens nicht, die Stunde kostet Buckelmann einen Euro, aber das ist ihm die Sache wert, wie er seinen Kollegen GEGENÜBER immer wieder betont. Auch die gelegentlichen Strafzettel auf dem Rathausparkplatz ZAHLE/zahlt Buckelmann gerne, denn er unterstütze damit ja schließlich die Stadt, die ihn für seine Arbeit bezahle, und da könne man auch gelegentlich etwas zurück geben, sagt er. Conny hatte ihm darauf entgegnet, er hätte sich wohl eine Flatrate für Ausreden zugelegt. Das hatte ihn schon sehr getroffen, denn in Wirklichkeit ist Buckelmann ein guter Mensch, jemand, der alles für andere tun würde und es auch tut, wenn er damit ein klein wenig von seinem eigenen Leben abgelenkt wird. Das führt dann gelegentlich zu solchen Entwicklungen wie am heutigen Tag, denkt Buckelmann, aber das muss man eben in Kauf nehmen.

Zeitnah zum spätesten Arbeitsbeginn hat Buckelmann sein Büro schließlich erreicht, er schließt es leise auf, öffnet das Fenster, wirft den Computer an, zieht das Jackett an, klemmt sich den Jugendförderplan unter den Arm, nimmt einen Stift in die Hand und geht damit ins Vorzimmer, wo er unter lauten "Hallo" von den beiden Damen dort begrüßt wird und gleich fragt, ob der Brief vom Internationalen Bund zu sozialpädagogischen Hilfen zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen schon angekommen sei. Sei er nicht, hört Buckelmann. Na sowas, sagt er daraufhin, und ich habe erst vorhin mit dem IB gesprochen und man hat mir gesagt, dass der Brief schon längst da sein sollte. Kein Zweifel, denkt sich Buckelmann, ich habe die Flatrate für Ausreden und die für Geistesgegenwart und Genialität gleich dazu, denn seine Erwähnung eines Gespräches mit dem IB hatte ihm schlagartig einen Eintrag des Arbeitsbeginns von acht Uhr dreißig ermöglicht. Noch interessanter war: Conny hatt recht gehabt. "Buckelmann, weißt Du, was Du bist?", hatte sie ihn vor kurzem gefragt. "Du bist ein Chaospratiker", hatte sie ihm gesagt, was er natürlich sofort, vehement und umfassend abgestritten hatte. Eine Frechheit war das: Chaospraktiker. Bei Lichte betrachtet hatte sie es aber nichtsdestoweniger richtig erkannt. Er, Buckelmann, konnte mit dem Chaos umgehen. Aber er war dabei nicht nur Chaospraktiker sondern auch Intuitivstapler und ein anerkannter Freund Gottes.

Zudem war Buckelmann als Chaospraktiker spirituell veranlagt. Schließlich gab es eine Menge Situationen in seinem Leben, deren glückliche Wendung Buckelmann allein auf Gottes persönliche Intervention zu seinen Gunsten zurückführen konnte. Und die paar Mal, bei denen alles schief lief, die hatte er sich eben redlich verdient, da seine Gott gegebenen Versprechungen schnell ihre Halbwertszeiten erreicht hatten. Wer Gott kennt (und Buckelmann war sich sicher, dass er ihn gut kannte), der wusste, dass dieser nicht alles durchgehen lassen konnte. Bis heute hatte sich hieran nichts geändert. So ist eben mein Leben, dachte Buckelmann; vor langer Zeit hatte er die Wahl gehabt, wie sein Leben verlaufen sollte und er hatte sich bewusst und voller Hingabe für genau diese Art von Leben entschieden.

Buckelmann setzte sich an seinen Schreibtisch und schlug die erste Akte auf.

Mittwoch, August 31, 2005

BUCKELMANNS WAHL (Anfang der Geschichte)

[aus: "BUCKELMANNS INNERE STÄRKE", dem Band 1 der BUCKELMANN Trilogie. Der Autor bemerkt dazu: »Buckelmann ist ein Wiederholungstäter, einer aus der Mitte des Deutschen Raumes. Seine innere Stärken sind seine inneren Schwächen. Aber nach jedem Stolpern juckt es ihm in den zehn Fingern, er muss das Erlebte auf- (oder besser noch: nieder-) schreiben. Damit begleicht er seine Schuld sich selbst gegenüber. Und Buckelmann schreibt natürlich immer in der dritten Person über sich; das wenigstens ist er seiner geschundenen Seele schuldig.«]

Angenommen, sie wären Buchhalter oder Finanzbeamtin, dann wäre Buckelmanns Auffassung von Pünktlichkeit, Ordnungsliebe und Arbeitseifer ungefähr so weit von der ihren entfernt, wie Bischof Tutus Chancen auf eine Mitgliedschaft im Ku-Klux-Clan. Nimmt man jetzt jedoch an, Buckelmann wäre arbeitsscheu und nicht gesellschaftsfähig, dann täuscht man sich gewaltig, gehört er doch zur Oberschicht der mittelmäßig Erfolgreichen, ist Mitglied in gleich drei Literaturvereinen, von denen er einem sogar vorsteht. Buckelmann arbeitet, aber das sei nur nebenbei bemerkt, hauptberuflich als Jugendsozialarbeiter bei der Stadtverwaltung.


Ein ganz normaler Arbeitstag beginnt bei Buckelmann damit, dass er gegen halb sechs Uhr erwacht, mach dem morgendlichen Toilettengang den Fernseher einschaltet, um im Teletext nachzuschauen, ob die Welt noch steht. Er versucht dabei, dem Bann der dort aufgereihten Ereignisse der verschlafenen Stunden nicht zu sehr zu erliegen und noch vor sechs Uhr seinen Computer anzuschalten, um im Internet zu prüfen, ob das Fernsehen ihm gerade die Wahrheit gesagt hatte, und nicht über Nacht in den Einfluss der Breiten Bevölkerungs-Greise/BBG geraten ist, einer Gruppe alkoholabhängiger Uralt-Politiker, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Buckelmann hat, nebenbei bemerkt, darüber vor einiger Zeit ein kritisch-amüsantes Essay veröffentlicht, glaubt, nach mehreren intensiven Gesprächen mit Gleichgesinnten über den Einfluss eines von islamischen Tempelrittern unterlaufenen Vatikan auf die Politik der EU, nun aber schon ein klein wenig daran, dass es die BBG tatsächlich gibt und dass sie ihm die Idee für das Essay sogar eingeflüstert haben könnten, als er eines Morgens mit extremen Kopfschmerzen im Stadtpark aufgewacht war, neben sich eine leere Flasche 'Absolut' Vodka. Er hatte sich damals nicht mehr erinnern können, am Abend zuvor überhaupt etwas getrunken zu haben. Dass tatsächlich die BBG dahinter steckte, hielt Buckelmann nicht ernsthaft für eine Option, was jedoch wiederum für ihre Existenz sprach, so gerissen wie die Brüder waren.

Inzwischen zeigt die Uhr in etwa zwei Minuten vor sechs und Buckelmann überlegt, ob er heute einmal ganz früh zur Arbeit gehen sollte. Der früheste Arbeitsbeginn war sechs Uhr dreißig und von seiner Wohnung brauchte er rund fünfzehn Minuten zur Arbeit, und zwar zu Fuß, wenn er wirklich gut drauf war (und alle Fußgängerampeln ihm wohlgewogen waren), oder mit dem Auto, wenn verkehrstechnisch alles normal lief. Einmal hatte er es mit seinem Auto sogar in acht Minuten zur Arbeit geschafft, aber das war im Sommer gewesen, in der Urlaubszeit, und die Fahrt hatte wirklich wie am Schnürchen geklappt. Will heißen: Sein Auto war angesprungen, kein Stau auf der Waldstraße, keine Müllfahrzeuge beim Entleeren der Tonnen vor der Einfahrt zur Tiefgarage am Rathausplatz und kein Volksfest auf dem deswegen dann gesperrten Parkplatz davor. Es sei hier nicht verschwiegen, dass Buckelmann gelegentlich auch mit dem Fahrrad fährt, dann braucht er elf Minuten, um auf Arbeit zu kommen, fühlt sich dabei auch noch topfit. Seitdem ihm letzten Herbst die Kette gerissen war, ist er jedoch kein Fahrrad mehr gefahren.

Um zwanzig nach sechs sitzt Buckelmann immer noch am PC, gibt die Idee der ganz frühen Arbeitsaufnahme auf, tendiert nun eher zu sieben Uhr dreißig, was gemessen am spätest möglichen Arbeitsbeginn um neun Uhr immer noch früh ist. Buckelmann beginnt damit, einen Text, den er gestern in der verlängerten Mittagspause geschrieben hatte (Genie lässt sich eben nicht durch profane Pausenregelungen stoppen), auf Schreibfehler zu korrigieren. Um kurz vor sieben ist er damit fertig und müsste nun ins Bad gehen, sich duschen und rasieren, was nach Buckelmanns fester Überzeugung nicht zu den lebensnotwendigen Verrichtungen gehört, seinem Bild in der Öffentlichkeit aber durchaus zuträglich ist. Zwanzig Minuten später hat er seine drei Webseiten auf Hackerangriffe hin gecheckt und für gut befunden, nur auf der 'Kulturecho' Seite muss dringend eine Änderung vorgenomen werden, liest Franz Andre Korff doch nächste Woche beim Kulturmeeting im Platanenhaus nicht aus ihrer Prosasammlung "Massenkampf" sondern aus seinem Gedichtband "Schweren Herzens". Schnell ist die FTP-Software geöffnet, der Eintrag geändert und ins Internet gestellt ... wenn die Software nicht schon wieder hängengeblieben wäre. Buckelmann macht einen Neustart, darin hat er mittlerweile Routine. Er wartet, bis die Programme hochfahren, startet den Explorer, das FTP-Programm, nimmt die Änderung nochmals vor und stellt sie dann ins Internet.

Als die 'Kulturecho' Seite aktualisiert ist, ist es sieben Uhr neunzehn und damit die Chance vertan, um halb acht auf Arbeit zu sein. Gerade noch rechtzeitig fällt Buckelmann ein, dass er noch einen Brief seiner Wohnungsgesellschaft beantworten muss, ob er mit der neuen monatlichen Müllpauschale einverstanden ist oder mit der bisher gültigen individuellen Regelung. Diese Schweine, denkt Buckelmann. Erhöhen einfach so mir nichts, dir nichts die Müllnebenkosten um 8 % und versuchen, das den Mietern einfach so unterzujubeln, indem sie ganz harmlos fragen, ob man die alte Regelung beibehalten möchte - antwortet man nicht, dann gilt die neue. "Mit mir nicht", ruft Buckelmann laut, es sind seine ersten drei gesprochenen Worte des Tages und gleichsam sein Lebensmotto. Wütend schreibt er den Antwortbrief an die 'Holding Miet- und Wohn'-AG.

Um sieben Uhr fünfunddreißig ist der Brief fertig, ausgedruckt und in einen Umschlag eingetütet. Buckelmann sucht die Briefmarken. Vor kurzem noch hatte er sie in seinem Haufen mit den wichtigen Papieren gesehen, jetzt sind sie nicht mehr da. Er schaut vorsichtshalber in seinem Schuhkarton mit den ganz wichtigen Dingen nach, den er seit gefühlten dreieinhalb Wochen nicht mehr geöffnet hat, findet sie aber schließlich in der schmalen Küchenschublade zwischen Schraubenziehern, Dübeln, Tesafilm, Gartensamen, Thomapyrin-Tabletten und Klettband. Mit einer Briefmarke für einen Euro zehn beklebt (andere hat er nicht finden können) legt er den Umschlag auf den Schuhschrank und schaut dann auf die Wanduhr. Jetzt ist es acht Uhr zwanzig.

Scheiße, denkt Buckelmann, schüttelt den Kopf, denkt an sein sonst untrügliches Zeitgefühl und daran, wieso die Zeit plötzlich verfliegt. Er hat einen Verdacht. Die Uhr im Büro könnte nachgehen, was bei einer Funkuhr nicht vorkommen darf, aber immer dann passiert, wenn die Batterieladungsspannung zur Neige geht. Buckelmann geht mit schnellen Schritten ins Büro, nimmt die Uhr von der Wand und wechselt die Batterie. Nun rasen die Zeiger um die Wette und stellen sich schnell auf die exakte Uhrzeit ein: acht Uhr neunundzwanzig.

[...diese Geschichte setzt sich fort...]